
Das prozessuale Instrument der Einstellung gegen Auflagenzahlung ist sehr flexibel einsetzbar. Es dient zuvorderst dem Schutz eines Beschuldigten, hat daneben aber auch seine prozessökonomischen Vorteile. Und es ist vor Missbrauch nicht gefeit. Darum geht es hier.
Vor gut 10 Jahren, am 25. Mai 2010, habe ich über ein Phänomen berichtet, das mir zwischendurch immer einmal wieder begegnet ist; zuletzt in einem Ermittlungsverfahren gegen einen Pflegedienst, dem die Strafverfolgungsbehörden mehrfachen Abrechnungsbetrug vorgeworfen hatten.
Die Beweislage war mehr als dünn, die Zeuginnen beriefen sich auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht und die Dokumentationen, die meine Mandantin entlasteten, waren umfangreich und vollständig.
Außer den üblichen Fehlern, die in jeder Massenabrechnung vorkommen, gab es nichts, was auf die vom LKA unterstellten „kriminelle Machenschaften“ hindeuten konnte.
Nach Einsicht in die fette Ermittlungsakte habe ich eine ebenso fette Verteidigungsschrift verfasst. Deren letzter Satz lautete:
Das Verfahren gegen Frau … ist daher sanktionslos einzustellen; ich bitte um Übersendung der Abschrift der Einstellungsverfügung.
Was dann geschah, entsprach dem Gegenstand meines 10 Jahre alten Blogbeitrags, den ich hier unverändert noch einmal veröffentliche:
Es ist ein Standard-Thema, das Angebot der Staatsanwaltschaft oder des Gerichts, ein Strafverfahren gegen Zahlung einer Auflage einzustellen.
Jürgen Schöne aus Hoyerswerda berichtet im RED TAPE über ein ziemlich gruseliges Steuerstrafverfahren, in dem der Richter Gesichtswahrung betrieben hat. Gewaltige Ermittlungen über Jahre und am Ende ist nichts Handfestes dabei herausgekommen. Man stochert noch in der Hauptverhandlung im Nebel.
Und dann kommt das Angebot: Weiter stochern, vermutlich über mehrere Tage. Oder eben die Einstellung nach § 153a StPO. Herr Schöne hatte Anlaß, seinem Mandanten zur Annahme dieses Angebots zu raten.
Der Kollege Jürgen Melchior aus Wismar berichtete seinerzeit über ein anderes Ergebnis. Sein Fall führte zur Ablehnung des Angebots. Und zum Freispruch.
Beide Verteidiger können auf ihre Weise einen Erfolg verbuchen. In beiden Fällen habe ich jedoch Bauchschmerzen, wenn ich mir überlege, was da eigentlich abgeht.
Die Anklage darf nicht geschrieben, erst Recht nicht zum Hauptverfahren zugelassen werden, wenn nicht eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für eine Verurteilung spricht. Trotzdem liest und hört man immer wieder von Verfahren, die erst angeklagt und dann eröffnet werden, um recht bald festzustellen, daß die Beweise für eine Verurteilung dann doch nicht ausreichen. Was – aus meiner Perspektive – vorhersehbar war.
Der RED-TAPE-Fall ist ein besonders krasses, aber deutliches Beispiel für diese Vorhersehbarkeit: Eine Hauptverhandlung auf 15 Uhr zu terminieren und dazu 10 Zeugen zu laden, ist schon oberdreist. Und dann dem Angeklagten „anbieten“, einen weiteren Termin festsetzen zu müssen, wenn er der Einstellung gegen Auflagenzahlung nicht zustimmt, scheint mir weit außerhalb des grünen Bereichs zu liegen.
Irgendwann schreibe ich dann doch mal eine Strafanzeige … als Erwiderung auf ein Angebot, daß mein Mandant nicht ablehnen kann. Zur Verurteilung des Richters oder des Staatsanwalts wird das sicher nicht führen. Aber für Wirbel und vielleicht zur Nachdenklichkeit.
Meine Mandantin hat sich auf den Deal einlassen müssen. Sie sah ihre Aufgabe darin, sich um ihre Patienten zu kümmen. Das drohende lange Verfahren vor einer Wirtschaftsstrafkammer, in dem sie um den Beweis ihrer Rechtschaffenheit hätte kämpfen müssen, hat sie zum Einlenken bewegt.
Wir können uns das gern im Rahmen der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung genauer anschauen.
Das waren die Worte der Oberstaatsanwältin, die für meine Mandantin den Ausschlag gaben, noch einmal einen hohen Geldbetrag auf den Tisch zu legen, um das Verfahren damit zu beenden. Ich konnte noch heraushandeln, dass die Zahlung nicht an die Landeskasse ging, sondern einer gemeinnützigen Organisation zugute kam. Wenigstens etwas …
Im Moment bekomme ich häufiger „Einstellungsangebote“ von Staatsanwälten, die auf die Überlastung der Justiz – vordergründig wegen der anhaltenden Corona – Pandemie verweisen.
Hinter diesen Angeboten steckt sicherlich nichts Bösartiges. Es zeigt aber einmal mehr, wozu die uralte Rechtsnorm des § 153a StPO zu ge- oder missbrauchen ist.
Bild: © Marcus Gottwald / pixelio.de
Der Beitrag Noch einmal, die 153a-Nötigung erschien zuerst auf Kanzlei Hoenig Berlin.