
Der 3. Senat des Bundesgerichtshofs vertritt die Ansicht, es sei nicht erforderlich, dass ein Anklagter „sein“ Urteil auch versteht; deswegen müsse es für ihn auch nicht schriftlich übersetzt werden (BGH, Beschluss vom 18.02.2020 – 3 StR 430/19).
Ein Argument der Richter lautet, dass der Angeklagte die mündlich vorgetragenen Urteilsgründe bereits in seiner (ungarischen) Muttersprache gehört habe.
Nur das geschriebene Wort gilt
Dazu muss man jedoch wissen, dass diese vom Vorsitzenden in der Hauptverhandlung gesprochenen Worte weder irgendwo festgehalten wurden, noch auf sie (wirksam) Bezug genommen werden kann.
Wenn der Anklagte sich – wie hier – im Rahmen einer Revision gegen das Urteil wehren will, kann er nicht vortragen, dass der Vorsitzende dieses oder jenes gesagt habe.
Entscheidend insoweit sind allein die schriftlichen Urteilsgründe, die das Revionsgericht zu berücksichtigen hat. Stimmen mündliche und schriftliche Gründe nicht überein, kommt es allein auf das geschriebene Wort an.
Die Leitsätze dieser zu kritisierenden Entscheidung lauten:
1. Der Angeklagte hat grundsätzlich keinen Anspruch auf schriftliche Übersetzung eines nicht rechtskräftigen erstinstanzlichen Strafurteils, wenn er verteidigt ist, er und sein Verteidiger bei der Urteilsverkündung anwesend waren und dem Angeklagten die Urteilsgründe durch einen Dolmetscher mündlich übersetzt worden sind.
2. Ein berechtigtes Interesse des Angeklagten an einer schriftlichen Übersetzung des Urteils wird nicht allein dadurch begründet, dass nach der Urteilsverkündung kein Kontakt zwischen ihm und seinem Verteidiger bestand.
Unfair
Fair – im Sinne des Art. 6 EMRK – erscheint mir das nicht. Das wird dann deutlich, wenn der Angeklagte nach Abschluss des Verfahrens vor dem Landgericht seinen Verteidiger gewechselt hat und der Revisions-Verteidiger bei der Verkündung des Urteils nicht anwesend war.
Kritik
Die Kollegin Jessica Friedrich, Rechtsanwältin in Mainz kritisiert daher zur Recht:
Darüber hinaus steht das Verständnis des BGH im Widerspruch zu der Richtlinie 2010/64/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.10.2010 über das Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren. Zwar gestattet Art. 3 Abs. 7 der Richtlinie eine mündliche Übersetzung oder Zusammenfassung wesentlicher Unterlagen. Dies gilt jedoch nur, wenn das Vorgehen einem fairen Verfahren nicht entgegensteht. Aus dieser Formulierung folgt, dass es sich um einen Ausnahmetatbestand handelt. Der BGH kehrt das Regel-Ausnahme-Verhältnis um, indem die mündliche Übersetzung zur Regel und eine schriftliche Übersetzung wesentlicher Unterlagen zur Ausnahme wird (vgl. dazu u.a. […]; Oglakcioglu in MüKo StPO, § 187 GVG Rn. 27).
FD-StrafR 2020, 429832, beck-online
Bemerkenswert ist, …
… dass die Richter des Bundesgerichtshofs 25 (!) Seiten Text (pdf) auf’s Papier bringen, um diese unhöfliche Entscheidung zu rechtfertigen, statt dass das Landgericht einen Dolmetscher mit der Übersetzung beauftragt und dem Angeklagten die Übersetzung gemeinsam mit der deutschen Fassung zustellt.
Dass man sich darüber wirklich ernsthaft streiten kann, verstehe ich – als Freund praktikabler Lösungen – wirklich nicht.
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Der Beitrag Urteilsübersetzung? Muss nicht sein! erschien zuerst auf Kanzlei Hoenig Berlin.